Im stark beforschten Feld gesellschaftlichen Umgangs mit konflikt- und gewaltgeprägter Vergangenheit findet sich immer häufiger ein transnationaler Fokus. Dies hat nicht allein mit einem transnationalen Turn in der Geschichtswissenschaft zu tun, sondern auch mit einer Veränderung des untersuchten Phänomens, die gerade am Beispiel der Region Lateinamerika und Karibik besonders deutlich wird.
Die wesentliche Arena von Geschichtspolitik war stets der Nationalstaat. Doch nun haben historische Referenzrahmen und Vergleichsparameter politischer Gewalt – allen voran der Holocaust – die Verbreitung entsprechender Strategien und Praktiken zwischen unterschiedlichen Gesellschaften und sozialen Gruppen ermöglicht und gefördert. Neue Normen und internationale juristische Institutionen hatten starke Auswirkungen auf die nationalen Auseinandersetzungen mit vergangenen politischen Verbrechen.
Nach 1945 nahm sowohl der internationale Druck auf solche postkonfliktiven Nationalstaaten zu, als auch – zumindest teilweise – deren Bereitschaft, nicht allein positive Selbstrepräsentationen, sondern auch die „Zivilistationsbrüche“ massiver Menschenrechtsverletzungen in die jeweiligen Geschichtserzählungen zu intergrieren. Diese Tendenz hat sich während der vergangenen drei Jahrzehnte deutlich verstärkt, und zahlreiche lateinamerikanische Gesellschaften spielten in diesem Umschwung offizieller Erinnerungskultur und gruppenspezifischer Aushandlungspraktiken im Feld der Geschichtspolitik eine wichtige Rolle.
Dieses interdisziplinäre Panel lädt ein zur Diskussion von Geschichtspolitiken in Lateinamerika in transnationaler Perspektive. Analysisiert werden die Strategien und Praktiken lateinamerikanischer Gesellschaften, sozialer, ökonomischer und ethno-linguistischer Gruppen sowie sozialer Bewegungen im Umgang mit Menschenrechtsverletzungen. Dabei sind historische ebenso wie sozial- und politikwissenschaftliche Herangehensweisen willkommen. Das Panel ist besonders offen für Beiträge, die gruppen- und länderspezifische Perspektiven zugunsten transnationaler Transferanalysen oder Vergleiche erweitern.
Themenvorschläge können bis zum 29.2.2008 an die Koordinatoren gesandt werden.
Koordination und Chairs:
Dr. Berthold Molden, Ludwig Boltzmann Institute for European History and Public Spheres, Vienna, Austria (berthold.molden@ehp.lbg.ac.at)
Dr. Stephan Scheuzger, Institute of History, Swiss Federal Institute of Technology, Zurich, Switzerland (scheuzger@history.gess.ethz.ch)